Bundesverfassungsgericht stärkt Rechte Betroffener im Bußgeldverfahren

Seit Jahren haben Betroffene in einem Bußgeldverfahren erhebliche Schwierigkeiten, von den Bußgeldbehörden und Gerichten diejenigen Beweismittel zur Einsicht und Prüfung zu erhalten, welche nach den Grundsätzen des sog. standardisierten Messverfahrens Grundlage einer Verurteilung sind. Auch Rechtsbeschwerden wurden in der Vergangenheit durch fast alle Oberlandesgerichte zurückgewiesen.

Erstmals entschied am 02.07.2019 der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes (Az.: Lv 7/17), dass diese Vorgehensweise rechtswidrig ist.

Auch danach änderte sich die Verfahrenspraxis der Gerichte und Bußgeldbehörden nicht. Insbesondere haben verschiedene Oberlandesgerichte sich in Kenntnis des Urteils aus dem Saarland über diese Rechtsprechung hinweggesetzt.

Nun findet das Bundesverfassungsgericht deutliche Worte. In einem am 15.12.2020 veröffentlichten Beschluss (Az.: 2 BvR 1616/18) hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die den Zugang des Betroffenen im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu Informationen betrifft, die nicht Teil der Bußgeldakte waren.  

Im Rahmen eines Bußgeldverfahrens wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung beantragte der Betroffene über seinen Rechtsanwalt die Einsichtnahme in Verfahrensunterlagen, wie Eichschein, Lebensakte, Bedienungsanleitung zum Messgerät und Rohmessdaten zur Messung. Die in der Verfahrensakte enthaltenen Unterlagen stellte die Bußgeldbehörde zur Verfügung. Hinsichtlich der nicht zur Verfahrensakte gehörenden Informationen (insbesondere Rohmessdaten) verwies die Bußgeldbehörde darauf, dass diese nur auf gerichtliche Anordnung vorgelegt würden. Auch durch das zuständige Gericht wurden die Daten nicht zur Verfügung gestellt. Der Betroffene konnte also nicht eigenständig bzw. mit Hilfe eines Sachverständigen seines Vertrauens die Richtigkeit der Messung überprüfen und sachdienliche Beweisanträge zur Prüfung der Messung stellen.

Nach Verurteilung durch das Amtsgericht legte der Rechtsanwalt des Betroffenen Rechtsbeschwerde ein. Diese hatte keinen Erfolg.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass die Entscheidungen der Gerichte den Betroffenen in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren verletzen.

Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt grundsätzlich auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Wenn der Betroffene Zugang zu Informationen begehrt, die sich außerhalb der Gerichtsakte befinden, um sich Gewissheit über seiner Entlastung dienende Tatsachen zu verschaffen, ist ihm dieser Zugang grundsätzlich zu gewähren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen unbegrenzt gilt. Gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten ist in Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten. Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen deshalb zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen, um eine uferlose Ausforschung, erhebliche Verfahrensverzögerungen und Rechtsmissbrauch zu verhindern. Insofern ist maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen beziehungsweise seines Verteidigers abzustellen. Entscheidend ist, ob dieser eine Information verständiger Weise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf.

Durch die Gewährung eines solchen Informationszugangs wird der Rechtsprechung zu standardisierten Messverfahren nicht die Grundlage entzogen. Zwar steht dem Betroffenen ein Zugangsrecht vom Beginn bis zum Abschluss des Verfahrens zu. Er kann sich mit den Erkenntnissen aus dem Zugang zu weiteren Informationen aber nur erfolgreich verteidigen, wenn er diesen rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt. Solange sich aus der Überprüfung der Informationen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses ergeben, bleiben die Aufklärungs- und Feststellungspflichten der Fachgerichte nach den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens reduziert. Ermittelt der Betroffene indes konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses, hat das Gericht zu entscheiden, ob es sich – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – dennoch von dem Geschwindigkeitsverstoß überzeugen kann. Im Übrigen bleiben die Möglichkeiten zur Ablehnung von Beweisanträgen aus § 77 Abs. 2 OWiG unberührt.

In dem Verfahren des Beschwerdeführers haben die Fachgerichte bereits verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgt. Entgegen der Annahme der Fachgerichte kam es dem Beschwerdeführer insbesondere auch nicht auf die Erweiterung des Aktenbestandes oder der gerichtlichen Aufklärungspflicht an. Vielmehr ging es ihm um die Möglichkeit einer eigenständigen Überprüfung des Messvorgangs, um – gegebenenfalls – bei Anhaltspunkten für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses die Annahme des standardisierten Messverfahrens erschüttern zu können.

Oder um es mit einfachen Worten zu sagen: Der Anspruch des Betroffenen, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden, bleibt nur gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet wird, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Für einen erfolgreichen Beweisantrag muss der Betroffene konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen vortragen. Dafür muss er allerdings die mit dem Messvorgang zusammenhängenden Informationen kennen.

Fazit: Damit dürfte nun geklärt sein, dass die Bußgeldbehörden und Gerichte dem Betroffenen auf rechtzeitigen Antrag sämtliche verfahrensbezogenen Unterlagen und Dateien herausgeben müssen, damit dieser – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – überprüfen kann, ob die Messung in Ordnung ist. Nur in Kenntnis aller Informationen kann der Betroffene sachdienliche Beweisanträge stellen.

Phishingmail der Polizei Brandenburg

Angeblich versendet die Polizei Brandenburg Bußgeldbescheide per E-Mail. Auch die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN wird in einer E-Mail vom 19.06.2019 um 15:06 Uhr pauschal und ohne genauere Angaben verdächtigt, am 19.06.2019 um 18:48 Uhr – also in der Zukunft (!) – in Rahnsdorf bei Berlin immerhin 14 km/h zu schnell gefahren zu sein. Für diese in der Zukunft liegende Tat wird ein Bußgeld von immerhin 100,00 € fällig.

Die Mail verwendet das Logo der Polizei Brandenburg. Sie wird allerdings versendet über eine Seite mailserver-site.info und ist unschwer als Fälschung erkennbar.

Bei genauerer Betrachtung stellt man sehr schnell fest, dass es sich um eine sog. Phishingmail handelt. Der eilige Leser soll verführt werden auf die Buttons „Berufung einlegen“ oder „Einzelheiten des Falles“ zu klicken. Dann schnappt die Falle zu.

Empfängern dieser Mails wird empfohlen, nicht vorschnell irgendetwas anzuklicken. In diesem Fall ist sicherlich die reale Polizei Ihr erster Ansprechpartner für die Erstattung einer Strafanzeige.

Praxistipp: Echte Bußgeldbescheide werden nicht per E-Mail versendet.

Sollten Sie tatsächlich einmal einen echten Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erhalten, berät Sie die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN gerne zur Sach- und Rechtslage sowie möglichen Erfolgsaussichten eines Einspruchs. Denn das ist der richtige Rechtsbehelf gegen Bußgeldbescheide.

Zentrale Bußgeldstelle Sachsen-Anhalt stellt Bußgeldverfahren ein

Unser Mandant befuhr am 30.06.2018 die BAB 2. In Höhe der Gemeinde Groß Santersleben geriet er in eine Abstandskontrolle.

Die Verwunderung war groß, als er Wochen später die Post der Bußgeldbehörde öffnete. Ihm wurde vorgeworfen, bei einer Geschwindigkeit von 221 km/h den erforderlichen Mindestabstand nicht eingehalten zu haben. Sein Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug soll 36 Meter und damit weniger als 4/10 des halben Tachowertes betragen haben. Immerhin führt dies zu einem Bußgeld von 180,00 € und der Eintragung eines Punktes in das Fahrerlaubnisregister.

Nach Einsicht in die amtliche Ermittlungsakte und Überprüfung der Messung konnten durch die BARGMANN Rechtsanwaltskanzlei eklatante Messfehler nachgewiesen werden. Letztlich stellte sich heraus, dass der Betroffene nicht 221 km/h, sondern lediglich 121 km/h gefahren ist, was zur Einstellung des Bußgeldverfahrens führte.

Praxistipp: Nicht in jedem Verfahren sind Messfehler so offensichtlich wie in diesem Fall. Die Erfahrung zeigt aber: Auch Bußgeldbehörden machen Fehler. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, Verkehrsmessungen – egal ob Abstandsüberwachung, Geschwindigkeitsmessung oder Rotlichtverstoß – daraufhin zu überprüfen, ob alle verfahrensrelevanten Voraussetzungen für das sog. standardisierte Messverfahren eingehalten wurden.

Deshalb unsere Empfehlung: Nehmen Sie als Betroffener in einem Bußgeldverfahren Ihre Rechte wahr und lassen Sie sich frühzeitig durch einen Fachanwalt für Verkehrsrecht beraten!