Kfz-Haftpflichtversicherer „kneift“ vor Berufungsurteil

Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall gab der Geschädigte das Unfallfahrzeug bei der Kfz-Werkstatt seines Vertrauens in Reparatur und mietete sich für die Ausfalldauer von fünf Tagen ein Ersatzfahrzeug an.

Der in Anspruch genommene Kfz-Haftpflichtversicherer regulierte nur einen Teil der Schadensersatzansprüche und kürzte die geltend gemachten Mietwagenkosten. Er hielt einen Tagesmietpreis von 30,00 € für angemessen.

Der Geschädigte war damit nicht einverstanden und erhob – beraten durch die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN – Klage vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht Lünen. Gegenstand der Klage waren restliche Schadensersatzansprüche (Mietwagenkosten).

Der beklagte Versicherer behauptete zunächst, dass dem Geschädigten in einem Telefonat mit dem Sachbearbeiter der Versicherung vor Abschluss des streitgegenständlichen Mietvertrages ein günstigerer Mietwagen angeboten wurde. Zudem sei der Mietwagen nicht als „Selbstfahrervermietfahrzeug“ zugelassen, so dass es allenfalls als „Werkstattersatzfahrzeug“ anzusehen sei. Die Kosten für ein derartiges Fahrzeug seien wesentlich geringer als diejenigen eines „echten“ Mietwagens.

Mit Urteil vom 17.06.2020 verurteilte das Amtsgericht Lünen (Az.: 7a C 135/19) den Versicherer zur Zahlung restlicher Mietwagenkosten in Höhe von 187,42 €. Den ersatzfähigen Normaltarif ermittelte das Gericht – entsprechend der gefestigten Rechtsprechung des Landgerichts Dortmund – auf Basis der sog. Mittelwertrechtsprechung, also dem arithmetischen Mittel aus Schwacke-Automietpreisspiegel und Fraunhofer-Erhebung. Die Berechnung ergab, dass die tatsächlich abgerechneten Mietwagenkosten sogar geringfügig unter dem Mittelwert lagen. Somit waren die gekürzten Beträge vollständig nachzuzahlen.

Der Behauptung, es habe ein günstigeres Mietwagenangebot vorgelegen, trat das Gericht entgegen. Nach Auffassung des Gerichts habe die beklagte Versicherung nicht beweisen können, dass tatsächlich ein konkretes, annahmefähiges Angebot unterbreitet wurde. Aus dem von der Versicherung vorgelegten Telefonvermerk ergab sich jedenfalls kein konkretes Angebot. Weitere Beweismittel blieb der Versicherer schuldig.

Ob es sich bei dem Geschädigten angemieteten Ersatzfahrzeug um ein sog. Selbstfahrervermietfahrzeug handelte, war für das Amtsgericht Lünen für die Höhe der zu ersetzenden Mietwagenkosten nicht maßgeblich. Dazu wurde kein Beweis erhoben.

Mit ausführlicher Begründung wies das Gericht darauf hin, dass der Reparaturbetrieb zwar gegen seine versicherungsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen würde, wenn er gewerblich ein Fahrzeug vermieten würde, ohne dies als Selbstfahrervermietfahrzeug zuzulassen. Das habe auf die Schadensersatzansprüche des Geschädigten gegen einen Dritten keinen Einfluss. Denn zivilrechtlich seien nach § 249 Abs. 1 BGB Mietwagenkosten vom Schädiger zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf.

Im Falle der Anmietung eines Fahrzeugs von einem insoweit gewerbsmäßig handelnden Vermieter, also auch etwa von einem mit der entgeltlichen Gestellung von Reparaturersatzwagen regelmäßig befassten Kfz-Werkstattbetrieb, darf der Geschädigte die hierfür regional üblichen Kosten für notwendig und angemessen halten, die das Gericht anhand der Mittelwertrechtsprechung ermittelte. Da keine konkreten Mietwagenpreise vereinbart wurden, stellen diese Kosten als ortsübliche Miete den ersatzfähigen Schaden dar.

Es kam nach Auffassung des Gerichts auch nicht darauf an, ob der Kläger die Mietwagenrechnung seiner Werkstatt bereits im Vorfeld des Rechtsstreits ausgeglichen hat oder nicht. Er sei nämlich in jedem Fall zur Zahlung des berechtigten Betrages verpflichtet und konnte daher von der eine Zahlung ausdrücklich verweigernden Beklagten nach § 250 S. 2 BGB Ersatz in Geld verlangen.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Lünen legte die beklagte Versicherung Berufung ein. Die zuständige Berufungskammer (22 S 19/20) machte in der Berufungsverhandlung deutlich, dass sie keinen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils habe. Insbesondere sei die Frage der Versicherungseinstufung des Mietwagens nicht relevant für die zivilrechtliche Wirksamkeit des Mietvertrages. Der durchschnittliche Geschädigte mache sich keine Gedanken zur Versicherungspflicht eines Mietwagens. Die Mehrzahl der Unfallgeschädigten dürften mit dem Begriff „Selbstfahrervermietfahrzeug“ nicht einmal etwas anfangen können.

Nach dem Hinweis des Landgerichts, dass es das erstinstanzliche Urteil bestätigen und die Berufung zurückweisen würde, nahm die beklagte Versicherung die Berufung zurück.

Damit ist das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Lünen rechtskräftig. Zu bedauern ist, dass das Landgericht Dortmund nun keine Möglichkeit mehr hat, über den Sachverhalt zu urteilen. Vor dem Hintergrund des Regulierungsverhaltens vieler Kfz-Versicherer wird sich dazu aber sicher bald eine Gelegenheit ergeben.

Festzuhalten ist jedenfalls, dass die Entscheidung des Amtsgerichts Lünen auch vor dem Landgericht Dortmund gehalten hätte.

Unbegleitete Probefahrt birgt Risiken

Der Bundesgerichtshof hat in einem aktuellen Urteil (vom 18.09.2020, Az.: V ZR 8/19) entschieden, dass ein Fahrzeug, das einem vermeintlichen Kaufinteressenten für eine unbegleitete Probefahrt überlassen und von diesem nicht zurückgegeben wurde, dem Eigentümer nicht im Sinne von § 935 BGB abhandengekommen ist. Dieser verliert daher sein Eigentum an dem Fahrzeug, wenn es anschließend durch einen Dritten in gutem Glauben erworben wird. 

Dem Fall des BGH lag Sachverhalt zugrunde:

Bei der Klägerin, die ein Autohaus betreibt, erschien ein vermeintlicher Kaufinteressent für ein als Vorführwagen genutztes Kraftfahrzeug (Mercedes-Benz V 220 d) im Wert von 52.900 €. Nachdem dieser hochprofessionelle Fälschungen eines italienischen Personalausweises, einer Meldebestätigung einer deutschen Stadt und eines italienischen Führerscheins vorgelegt hatte, wurden ihm für eine unbegleitete Probefahrt von einer Stunde auf der Grundlage eines „Fahrzeug-Benutzungsvertrages“ ein Fahrzeugschlüssel, das mit einem roten Kennzeichen versehene Fahrzeug, das Fahrtenbuch und Fahrzeugscheinheft sowie eine Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I ausgehändigt. Der vermeintliche Kaufinteressent kehrte mit dem Fahrzeug nicht mehr zu dem Autohaus zurück. Kurze Zeit später wurde die Beklagte in einem Internetverkaufsportal auf das dort von einem Privatverkäufer angebotene Fahrzeug aufmerksam. Die Beklagte, die die vorgelegten Fahrzeugunterlagen nicht als gefälscht erkannte, schloss mit dem Verkäufer einen Kaufvertrag über das Fahrzeug. Ihr wurden nach Zahlung des Kaufpreises von 46.500 € das Fahrzeug, die Zulassungspapiere, ein passender sowie ein weiterer – nicht dem Fahrzeug zuzuordnender – Schlüssel übergeben. Die Behörde lehnte eine Zulassung ab, da das Fahrzeug als gestohlen gemeldet war. 

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Herausgabe des Fahrzeuges und des Originalschlüssels; die Beklagte verlangt im Wege der Widerklage u. a. die Herausgabe der Original-Zulassungspapiere und des Zweitschlüssels. 

Das Urteil ist von hoher praktischer Relevanz. Jedem Kfz-Händler ist anzuraten, genau zu prüfen, wem das Fahrzeug zur Probefahrt überlassen wird.

Bislang liegt lediglich eine Pressemitteilung des BGH vor. Aus den Entscheidungsgründen wird sich ergeben, ob und gegebenenfalls welche weiteren Besonderheiten in diesem Fall eine Rolle gespielt haben. Denn die bisherige Rechtsprechung hat vielfältige Anforderungen an die Umstände des späteren Kaufs gestellt, die einen gutgläubigen Erwerb unter Umständen ausschließen können.

Die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN hat kürzlich vor dem Landgericht Osnabrück ein Autohaus vertreten, das einem Kunden ein Fahrzeug vermietet hat. Der Kunde mietete unter Vorlage seines Personalausweises das Fahrzeug an und gab es zum Ablauf der Mietzeit nicht zurück. Im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens stellte sich heraus, dass der Kunde das Fahrzeug mit gefälschten Papieren und lediglich einem Schlüssel bei einem Verkauf auf der Straße weiterveräußert hat. Glücklicherweise erhielt der Autovermieter das Fahrzeug im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens von der Polizei zurück.

Der unglückliche Käufer, der trotz Zahlung des Kaufpreises nun kein Fahrzeug mehr hatte, klagte auf Herausgabe des Kraftfahrzeuges gegen das Autohaus.

In der Gesamtschau kam das Landgericht Osnabrück (Urteil vom 17.07.2020, Az.: 3 O 508/20) zu dem Ergebnis, dass der Käufer nach §§ 929 S. 1, 932 BGB in grob fahrlässiger Weise verkannt hat, dass der Verkäufer nicht verfügungsberechtigt war. Eine solche grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt ist und der Erwerber unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Beim Erwerb eines gebrauchten Kfz kann eine Vielzahl kleiner Auffälligkeiten, die für sich genommen zur Begründung einer grob fahrlässigen Unkenntnis von der Nichtberechtigung des Verkäufers nicht ausreichen würden, in ihrer Gesamtheit einen handgreiflichen Anhaltspunkt für Zweifel am Eigentum des Verkäufers bilden und damit eine Nachforschungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers begründen – so das LG Osnabrück.

In diesem Fall gab es diverse Tatsachen, die den Käufer hätten stutzig machen müssen, insbesondere:

  • Die Behördenstempel in der Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II stammten von unterschiedlichen Behörden.
  • Der genannte HU-Termin passte nicht.
  • Die Angaben im Serviceheft korrespondierten nicht mit den Angaben des Verkäufers.
  • Der Verkäufer konnte keinen Zweitschlüssel übergeben.
  • Der Verkauf fand auf offener Straße statt (sog. Straßenverkauf)

Im Ergebnis hat der Kläger des Rechtsstreits vor dem LG Osnabrück kein Eigentum erworben, so dass er keinen Herausgabeanspruch hatte. Die Klage wurde abgewiesen.

Praxistipp: Kfz-Händler, die ein Kraftfahrzeug zur unbegleiteten Probefahrt herausgeben, gehen ein hohes Risiko ein. Nach der Entscheidung des BGH steht einmal mehr fest, dass das Kraftfahrzeug nicht im Sinne des § 935 BGB abhanden gekommen ist. Es kann von einem Dritten gutgläubig erworben werden. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, für eine notwendige Anpassung der Gesetzeslage zu sorgen.

Landgericht Münster: Bagatellgrenze für Kfz-Schadengutachten liegt bei 1.000,00 € netto

Nach einem Verkehrsunfall stellt sich für den Geschädigten in der Regel folgende Frage: Wer sichert die Beweise und wie hoch ist der Schaden?

Nur eine unabhängige und vollständige Beweis­sicherung über Umfang und Höhe des Schadens ge­währleistet, dass dem Geschädigten alle Schadensersatz­ansprüche in vollem Umfang erstattet werden. Zu diesem Zweck hat der Geschädigte das Recht, einen unabhän­gigen Kfz-Sachverständigen mit der Beweissicherung und der Erstellung eines Schadengutachtens zu be­auftragen. Einen Sach­verständigen der gegnerischen Haftpflichtver­sicherung muss er nicht akzeptieren.

Die Kosten des Schadengutachtens trägt bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung. Sofern lediglich ein sogenannter Bagatell­schaden vorliegt, reicht ein Kostenvoranschlag einer Fach­werkstatt.

Seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1994 lag die Grenze zum Bagatellschaden bei 1.500,00 DM, also etwa 715,00 €. Ab einem Schaden von etwa 800,00 € durfte der Geschädigte seither einen Gutachter mit der Schadenermittlung beauftragen. In jüngster Vergangenheit gibt es allerdings Tendenzen in der Rechtsprechung, diese Schwelle aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung höher zu ziehen.

Mit Urteil vom 08.11.2019 (Az.: 012 O 15/19) hat das Landgericht Münster entschieden, dass die Bagatellgrenze bei 1.000,00 € netto liegt. Das entspricht beim derzeitigem Umsatzsteuersatz von 19 % einem Bruttobetrag von 1.190,00 €. Das Gericht betont allerdings auch, dass Umstände des Einzelfalls ein Abweichen von diesem Richtwert rechtfertigen können.

Praxistipp: Ab einem Unfallschaden von ca. 1.200,00 € darf der Geschädigte eines Verkehrsunfalls unzweifelhaft einen Kfz-Sachverständigen seines Vertrauens mit der Erstellung eines Kfz-Schadengutachtens beauftragen. Bei kleineren Schäden sollte im Einzelfall abgewogen werden, ob ein Kostenvoranschlag einer Kfz-Werkstatt ausreichend ist oder Umstände vorliegen, die ausnahmsweise doch die Einschaltung eines Kfz-Sachverständigen rechtfertigen.