AG Bitterfeld-Wolfen entscheidet erneut über Erstattungsfähigkeit coronabedingter Desinfektionskosten

Für einen Unfallgeschädigten hat die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN vor dem Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen coronabedingte Desinfektionskosten eingeklagt, nachdem zuvor die in Anspruch genommene Haftpflichtversicherung eine Zahlung abgelehnt hat.

Das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen (Urteil vom 16.11.2022, Az.: 7 C 307/22) schätzt die nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Desinfektionskosten auf pauschal 25,00 € netto, mithin 29,75 € brutto.

Coronabedingte Desinfektionskosten kann der Geschädigte grundsätzlich als Folge der Coronaepidemie verlangen. Das Gericht geht davon aus, dass Geschädigte vor der Übergabe eines reparierten Fahrzeugs von der Werkstatt an ihn eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen erwarten kann und dass der Aufwand hierfür im Rahmen der Schadensbeseitigung erforderlich ist.

Darauf, dass der Geschädigte die restlichen Reparaturkosten bereits an die Kfz-Werkstatt bezahlt hat, kommt es nicht an.

Amtsgericht Tecklenburg: Coronabedingte Desinfektionskosten nicht erstattungsfähig

In einem Rechtsstreit über restliche Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall hat das Amtsgericht Tecklenburg mit Urteil vom 15.11.2022 (Az.: 5 C 4/22) u. a. entschieden, dass coronabedingte Desinfektionskosten nicht erstattungsfähig sind.

Wegen der Desinfektionskosten fehle es nach Auffassung des Gerichts an dem adäquaten Kausalzusammenhang. Kausal seien nur solche Schäden, die durch das Unfallereignis selbst verursacht sind. Daran fehle es bei den Kosten der Oberflächendesinfektion. Diese beruhten ausschließlich auf einem von der Werkstatt frei entwickelten Hygienekonzept im Rahmen der Corona-Pandemie. Diese Kosten dienten weder der Wiederherstellung des beschädigten Fahrzeugs noch seien sie durch das Unfallereignis verursacht worden. Sie seien ausschließlich auf höhere Gewalt zurückzuführen und dienten dem Arbeitsschutz der Mitarbeiter der Werkstatt und dem Service am Kunden.

In der gerichtlichen Praxis ist die Frage der Erstattungsfähigkeit coronabedingter Reinigungskosten umstritten. Überzeugend ist die Begründung des AG Tecklenburg allerdings nicht. Für den Geschädigten ist der ganze Verkehrsunfall höhere Gewalt. Er hat es sich nicht ausgesucht, dass eine fremde Person ihm durch Missachtung der im Straßenverkehr zu beachtenden Sorgfaltspflichten sein Kraftfahrzeug beschädigt.

Mit der Argumentation des AG Tecklenburg wäre der Geschädigte z. B. auch dann schutzlos, wenn ein Dritter das allgemeine Durcheinander nach dem Verkehrsunfall nutzt, um Gegenstände aus dem Unfallfahrzeug zu entwenden. Dieser Schaden wird auch nicht durch den Unfall selbst verursacht und wäre nach der Rechtsauffassung des AG Tecklenburg wohl auch nicht erstattungsfähig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist da allerdings großzügig und legt den Begriff der Kausalität weit aus. Den gebildeten Beispielfall hat der BGH bereits 1997 zu Gunsten eines Geschädigten entschieden.

Um den erforderlichen Wiederherstellungsaufwand bestimmen zu können, darf der Geschädigte sich eines Kfz-Schadengutachters bedienen, der Art und Ausmaß des Schadens festlegt. Zudem darf er seiner Kfz-Werkstatt vertrauen, die im Normalfall den Schaden auf Basis des Kfz-Schadengutachtens repariert.

Der Geschädigte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die vom Gutachter kalkulierten Arbeitsschritte zur Schadenbeseitigung erforderlich sind und die Werkstatt keine unnötigen Arbeiten in Rechnung stellt oder Leistungen berechnet, die tatsächlich nicht erbracht wurden.

Im konkreten Fall waren im Kfz-Schadengutachten coronabedingte Reinigungskosten kalkuliert, vom Geschädigten beauftragt und von der Werkstatt erbracht worden. Zudem hat der Geschädigte die restlichen Reparaturkosten selbst an die Kfz-Werkstatt bezahlt und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Leistung als korrekt anerkennt.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass insoweit auf die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten Rücksicht zu nehmen ist. Man spricht von „subjektbezogener Schadensbetrachtung“. Dieses Privileg gilt auch für die Schadenhöhe (BGH, Urteil vom 18.10.2011, Az.: VI ZR 17/11).

Auch coronabedingte Desinfektionskosten unterfallen dem subjektbezogenen Schadenbegriff. Sie erhöhen schlichtweg den Reparaturaufwand.

Die Berufung wurde nicht zugelassen.

Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen zu coronabedingten Desinfektionskosten

Für einen Unfallgeschädigten hat die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN vor dem Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen coronabedingte Desinfektionskosten eingeklagt, nachdem zuvor die in Anspruch genommene Haftpflichtversicherung eine Zahlung abgelehnt hat.

Das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen (Urteil vom 12.04.2022, Az.: 7 C 505/21) schätzt die nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Desinfektionskosten auf pauschal 25,00 € netto, mithin 29,75 € brutto.

Die Grundsätze des sog. Werkstattrisikos sieht das Gericht nicht als erfüllt an, weil die Desinfektionskosten nicht als unmittelbarer Bestandteil der Reparaturkosten anzusehen seien. Vielmehr handele es sich um eine eigenständige Leistung ohne unmittelbaren Zusammenhang zur technischen Durchführung der Reparatur.

Leider verkennt das Gericht, dass die erforderlichen Desinfektionskosten bereits Gegenstand des zuvor eingeholten Kfz-Schadengutachtens waren und der Reparaturauftrag an die Werkstatt auf Grundlage und nach Maßgabe des Kfz-Schadengutachtens erteilt worden ist. Der Geschädigte durfte sich daher auf das Werkstattrisiko berufen.