AG Münster verurteilt Kfz-Haftpflichtversicherer zu Schadensersatz

Für den Geschädigten eines Verkehrsunfalls hat die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN restliche Schadensersatzansprüche eingeklagt, nachdem die Haftpflichtversicherung des Schädigers unter Berufung auf einen sog. „Prüfbericht“ eine vollständige Schadenregulierung ablehnte.

Das Amtsgericht Münster hat die Versicherung mit Urteil vom 16.08.2023 (Az.: 3 C 234/23) zur Zahlung restlicher Schadensersatzansprüche verurteilt.

Wenn der Geschädigte zur Feststellung des Schadens ein Kfz-Schadengutachten einholt und auf Basis dieses Gutachtens die Reparatur des Fahrzeugs veranlasst, ergibt sich ein Anspruch auf Ersatz des Schadens, wenn die tatsächlichen Reparaturkosten die vom Sachverständigen kalkulierten Kosten nicht wesentlich übersteigen.

Aus den Gründen:

„Auf eine Zahlung der Rechnung kommt es nicht an. Der Kläger hat zudem nachgewiesen, den noch ausstehenden Differenzbetrag an die Reparaturwerkstatt überwiesen zu haben. Dass dies in Kenntnis des von der Beklagten eingeholten Prüfberichts erfolgt ist, ist ohne Bedeutung. Aus diesem musste der Kläger nicht schließen, dass die Reparaturrechnung falsch war. Es handelt sich bei dem Prüfbericht lediglich um Einwendungen des Beklagten.

[…]

Der Anspruch ist nur mit der Einschränkung begründet, dass gleichzeitig die Vorteile herausgegeben werden, welche der Kläger erlangt hat. Grund hierfür ist ein dem allgemeinen Schadensersatzrecht innewohnender Anspruch auf Ausgleich erlangter Vorteile. Dementsprechend war der Beklagte nur Zug um Zug gegen Abtretung der Ersatzansprüche verpflichtet. Hierfür bedurfte es weder eines Antrags noch einer Einrede des Beklagten.“

Letzteres kann man so sehen, ist aber nicht zwingend. Die daraus folgende Teilabweisung der Klage führte allerdings nicht zu einer Kostenquote, weil die Außerachtlassung der Zug-um-Zug-Verpflichtung im Klageantrag lediglich eine unwesentliche Zuvielforderung i. S. d. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO darstellte.

Bundesverfassungsgericht entscheidet zu „Rohmessdaten“

Die lang erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu „Rohmessdaten“ ist da. Das Ergebnis ist ernüchternd. Das Bundesverfassungsgericht hat drei (!) Jahre benötigt, um zu entscheiden, dass die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war ein Bußgeldverfahren, bei dem ein Messgerät zum Einsatz kam, dass zwar das Messergebnis selbst, aber nicht den Rechenweg dorthin aufzeichnet. Die der Ermittlung des Messergebnisses dienenden Einzelwerte werden gemeinhin als „Rohmessdaten“ bezeichnet.

Um es einfach und mit wenigen Worten zu erklären: Moderne Verkehrsmessgeräte werfen nur noch das Endergebnis einer Messung aus. Die Werte, die zu diesem Ergebnis geführt haben, werden gelöscht. Insofern ist technisch nicht nachvollziehbar, wie ein Messgerät zum ausgeworfenen Messwert gelangt. Für die Verteidigung gegen eine eine Verkehrsmessung ist es allerdings wichtig, diese Einzelwerte zu kennen. Denn häufig lassen sich nur anhand dieser Einzelwerte gezielt Einwendungen gegen die Messung oder gar konkrete Fehler vortragen, die ein Gericht zur weiteren Sachaufklärung zwingen.

Nun kann man sagen, wird schon richtig sein und dem Endergebnis der Messung vertrauen. Die Erfahrung vieler Verteidiger und technischen Sachverständigen ist aber, dass die Messergebnisse leider nicht immer richtig sind. Das Vertrauen in Messergebnisse wäre größer, wenn man diese im Einzelfall überprüfen könnte.

Nach Ausschöpfung des Gerichtswegs hat der Betroffene eine Verfassungsbeschwerde erhoben und geltend gemacht, dass das Amtsgericht ein seines Erachtens nicht überprüfbares Geschwindigkeitsmessergebnis verwertet habe.

Die jetzige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird damit begründet, dass der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde nicht „hinreichend substantiiert“ habe. Ihre Begründung lasse eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht erkennen.  

Das Verfahren lief unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1167/20. Die Entscheidung datiert vom 20.06.2023. Sie ist hier abrufbar. Mag sich jede Leserin ihre und jeder Leser seine eigene Meinung bilden.

Bundesarbeitsgericht: Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt der Verjährung

Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 6. November 2018 und war es dem Arbeitnehmer nicht zumutbar, Klage auf Abgeltung zu erheben, konnte die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende des Jahres 2018 beginnen.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger seit dem 09.06.2010 als Ausbildungsleiter, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeitstagen zu gewähren. Unter dem 19.10.2015 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte. Mit der im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger u.a. Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.

Das BAG hat am 20.12.2022 (Az.: 9 AZR 266/20) entschieden, dass Urlaubsansprüche verjähren können, die dreijährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.

Nun hat das BAG entschieden, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch seinerseits der Verjährung unterliegt. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankommt. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Bei einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Anwendung der Verjährungsregelungen kann die Verjährungsfrist nicht beginnen, solange eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.

Von dem Kläger konnte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19.10.2015 nicht erwartet werden, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen. Der Senat ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen. Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 06.11.2018 neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, war der Kläger gehalten, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.

Demgegenüber ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2015 verjährt. Schon auf Grundlage der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, abzugelten hatte. Die dreijährige Verjährungsfrist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Der Kläger hat die Klage erst im Jahr 2019 erhoben.

Praxistipp: Das deutsche Urlaubsrecht unterlag in den vergangenen Jahren großen Veränderungen. Daher ist es für Arbeitnehmer im Einzelfall oft schwierig, zu beurteilen, ob Urlaubsansprüche für vergangene Jahre oder ein Urlaubsabgeltungsanspruch im Falle der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bestehen.

Lassen Sie sich rechtzeitig beraten, damit Sie gar nicht erst in die Verjährungsfalle tappen.  

OLG Hamm: Bagatellgrenze bleibt bei 715,81 €

Nach einem Verkehrsunfall ist der Geschädigte berechtigt, den Schaden an seinem Fahrzeug durch einen unabhängigen Kfz-Sachverständigen ermitteln zu lassen. Eine unabhängige und vollständige Beweissicherung über Umfang und Höhe des Schadens gewährleistet, dass dem Geschädigten alle ihm zustehenden Schadensersatzansprüche in vollem Umfang von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers erstattet werden.

Die Kosten des Kfz-Schadengutachtens trägt bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall in der Regel die Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers, sofern die Begutachtung zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen erforderlich und zweckmäßig ist.

Die geltenden Grundsätze hat das Oberlandesgericht Hamm in einem aktuellen Urteil (vom 28.06.2022, Az. I-7 U 45/21) wie folgt zusammengefasst:

„Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gem. § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (BGH Urt. v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03, NJW 2005, 356 [unter II. 5 a].). Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Insoweit ist nicht alleine darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs ausgereicht hätten (BGH Urt. v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03, NJW 2005, 356 [unter II. 5 b]).

Nach diesen Grundsätzen liegt ein Bagatellschaden, welcher die Einholung eines Sachverständigengutachtens als nicht erforderlich erscheinen lassen würde, nicht vor. Auf das Unfallgeschehen sind – wie ausgeführt – Kontaktspuren am lackierten Heckstoßfänger im Bereich des linken Rückstrahlers sowie das Lösen der Kantenschutzleiste am Klägerfahrzeug zurückzuführen, deren Instandsetzung Brutto-Reparaturkosten in Höhe von 1.018,43 EUR erforderlich machte, weshalb bereits betragsmäßig kein Bagatellschaden ersichtlich ist (vgl. BGH Urt. v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03, NJW 2005, 356 [unter II. 5 c], wonach bei Überschreitung einer Schadenshöhe von 1.400,00 DM / 715,81 EUR kein Bagatellschaden vorliegt). Hinzu kommt, dass zum einen für die Lackierung eines Stoßfängers auch nach Kenntnis eines Laien erhebliche Kosten anfallen können und zum anderen bei entsprechenden Schäden aus Sicht eines Laien nicht ausgeschlossen werden kann, dass darüber hinaus durch den Unfall weitere – unter der Stoßstange verborgene – Schäden entstanden sind. Hiernach durfte der Kläger die Einholung eines Sachverständigengutachtens für geboten erachten.“

Mit der Entscheidung hat das OLG Hamm der jüngst aufgeflammten Diskussion, ob die sog. Bagatellgrenze angepasst werden muss, eine Absage erteilt.

Arbeitsrecht: Urlaub verjährt nicht automatisch nach drei Jahren

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt – wie andere Ansprüche auch – der gesetzlichen Verjährung.

Kurz vor Jahresende hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) schon mal einen Knaller gezündet. In einem Grundsatzurteil hat das BAG entschieden, dass Urlaub eines Beschäftigten nicht mehr ohne Weiteres verjähren kann.

In dem Urteil vom 20. Dezember 2022 (9 AZR 266/20) heißt es:

„Allerdings beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.“

Die Verjährung fällt demnach nicht komplett weg, sondern ist an bestimmte Bedingungen geknüpft: Urlaubsansprüche verjähren nur dann nach drei Jahren, wenn Arbeitgeber ihre Beschäftigten rechtzeitig auf den Resturlaub hinweisen sowie sie dazu auffordern, den Urlaub zu nehmen und sie außerdem über die drohende Verjährungsfrist informieren. Ein Arbeitgeber muss also selbst aktiv werden, wenn er möchte, dass Urlaubsansprüche verjähren. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, verjährt der Urlaubsanspruch nicht mehr automatisch.

Das Urteil ist in Fachkreisen keine Überraschung. Es setzt die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) um. Dieser hatte erst im September (Entscheidung vom 22.09.2022, Az.: C-120/21) entschieden, dass ein Urlaubsanspruch nur dann verjähren kann, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist.

AG Bitterfeld-Wolfen entscheidet erneut über Erstattungsfähigkeit coronabedingter Desinfektionskosten

Für einen Unfallgeschädigten hat die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN vor dem Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen coronabedingte Desinfektionskosten eingeklagt, nachdem zuvor die in Anspruch genommene Haftpflichtversicherung eine Zahlung abgelehnt hat.

Das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen (Urteil vom 16.11.2022, Az.: 7 C 307/22) schätzt die nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Desinfektionskosten auf pauschal 25,00 € netto, mithin 29,75 € brutto.

Coronabedingte Desinfektionskosten kann der Geschädigte grundsätzlich als Folge der Coronaepidemie verlangen. Das Gericht geht davon aus, dass Geschädigte vor der Übergabe eines reparierten Fahrzeugs von der Werkstatt an ihn eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen erwarten kann und dass der Aufwand hierfür im Rahmen der Schadensbeseitigung erforderlich ist.

Darauf, dass der Geschädigte die restlichen Reparaturkosten bereits an die Kfz-Werkstatt bezahlt hat, kommt es nicht an.

Amtsgericht Tecklenburg: Coronabedingte Desinfektionskosten nicht erstattungsfähig

In einem Rechtsstreit über restliche Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall hat das Amtsgericht Tecklenburg mit Urteil vom 15.11.2022 (Az.: 5 C 4/22) u. a. entschieden, dass coronabedingte Desinfektionskosten nicht erstattungsfähig sind.

Wegen der Desinfektionskosten fehle es nach Auffassung des Gerichts an dem adäquaten Kausalzusammenhang. Kausal seien nur solche Schäden, die durch das Unfallereignis selbst verursacht sind. Daran fehle es bei den Kosten der Oberflächendesinfektion. Diese beruhten ausschließlich auf einem von der Werkstatt frei entwickelten Hygienekonzept im Rahmen der Corona-Pandemie. Diese Kosten dienten weder der Wiederherstellung des beschädigten Fahrzeugs noch seien sie durch das Unfallereignis verursacht worden. Sie seien ausschließlich auf höhere Gewalt zurückzuführen und dienten dem Arbeitsschutz der Mitarbeiter der Werkstatt und dem Service am Kunden.

In der gerichtlichen Praxis ist die Frage der Erstattungsfähigkeit coronabedingter Reinigungskosten umstritten. Überzeugend ist die Begründung des AG Tecklenburg allerdings nicht. Für den Geschädigten ist der ganze Verkehrsunfall höhere Gewalt. Er hat es sich nicht ausgesucht, dass eine fremde Person ihm durch Missachtung der im Straßenverkehr zu beachtenden Sorgfaltspflichten sein Kraftfahrzeug beschädigt.

Mit der Argumentation des AG Tecklenburg wäre der Geschädigte z. B. auch dann schutzlos, wenn ein Dritter das allgemeine Durcheinander nach dem Verkehrsunfall nutzt, um Gegenstände aus dem Unfallfahrzeug zu entwenden. Dieser Schaden wird auch nicht durch den Unfall selbst verursacht und wäre nach der Rechtsauffassung des AG Tecklenburg wohl auch nicht erstattungsfähig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist da allerdings großzügig und legt den Begriff der Kausalität weit aus. Den gebildeten Beispielfall hat der BGH bereits 1997 zu Gunsten eines Geschädigten entschieden.

Um den erforderlichen Wiederherstellungsaufwand bestimmen zu können, darf der Geschädigte sich eines Kfz-Schadengutachters bedienen, der Art und Ausmaß des Schadens festlegt. Zudem darf er seiner Kfz-Werkstatt vertrauen, die im Normalfall den Schaden auf Basis des Kfz-Schadengutachtens repariert.

Der Geschädigte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die vom Gutachter kalkulierten Arbeitsschritte zur Schadenbeseitigung erforderlich sind und die Werkstatt keine unnötigen Arbeiten in Rechnung stellt oder Leistungen berechnet, die tatsächlich nicht erbracht wurden.

Im konkreten Fall waren im Kfz-Schadengutachten coronabedingte Reinigungskosten kalkuliert, vom Geschädigten beauftragt und von der Werkstatt erbracht worden. Zudem hat der Geschädigte die restlichen Reparaturkosten selbst an die Kfz-Werkstatt bezahlt und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Leistung als korrekt anerkennt.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass insoweit auf die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten Rücksicht zu nehmen ist. Man spricht von „subjektbezogener Schadensbetrachtung“. Dieses Privileg gilt auch für die Schadenhöhe (BGH, Urteil vom 18.10.2011, Az.: VI ZR 17/11).

Auch coronabedingte Desinfektionskosten unterfallen dem subjektbezogenen Schadenbegriff. Sie erhöhen schlichtweg den Reparaturaufwand.

Die Berufung wurde nicht zugelassen.

Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen zu coronabedingten Desinfektionskosten

Für einen Unfallgeschädigten hat die Rechtsanwaltskanzlei BARGMANN vor dem Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen coronabedingte Desinfektionskosten eingeklagt, nachdem zuvor die in Anspruch genommene Haftpflichtversicherung eine Zahlung abgelehnt hat.

Das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen (Urteil vom 12.04.2022, Az.: 7 C 505/21) schätzt die nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Desinfektionskosten auf pauschal 25,00 € netto, mithin 29,75 € brutto.

Die Grundsätze des sog. Werkstattrisikos sieht das Gericht nicht als erfüllt an, weil die Desinfektionskosten nicht als unmittelbarer Bestandteil der Reparaturkosten anzusehen seien. Vielmehr handele es sich um eine eigenständige Leistung ohne unmittelbaren Zusammenhang zur technischen Durchführung der Reparatur.

Leider verkennt das Gericht, dass die erforderlichen Desinfektionskosten bereits Gegenstand des zuvor eingeholten Kfz-Schadengutachtens waren und der Reparaturauftrag an die Werkstatt auf Grundlage und nach Maßgabe des Kfz-Schadengutachtens erteilt worden ist. Der Geschädigte durfte sich daher auf das Werkstattrisiko berufen.

Arbeitsrecht: Änderungen im Nachweisgesetz

Der deutsche Gesetzgeber hat sich mal wieder eine Menge Zeit bei der Umsetzung einer EU-Richtlinie gelassen. Bereits am 31.07.2019 trat die EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union in Kraft. Sie ist bis zum 31.07.2022 in nationales Recht umzusetzen. Nun hat der deutsche Gesetzgeber gehandelt. Die Neuregelungen treten am 01.08.2022 in Kraft.

Bereits nach den bisher geltenden Regelungen des Nachweisgesetzes sind Arbeitgeber verpflichtet, spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen.

Die Neuregelung sieht weitreichende Änderungen bzw. Ergänzungen der bestehenden Nachweispflichten vor. Sie betreffen sowohl Neuverträge als auch Altverträge, die vor dem 31.07.2022 abgeschlossen wurden.

Der Arbeitgeber hat die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Welche Inhalte in die Niederschrift aufzunehmen sind, ergibt sich aus § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG.

Insoweit ist zu beachten, dass mit „schriftlich“ die Schriftform nach § 126 Abs.1 BGB gemeint ist. D. h., die Niederschrift muss vom Arbeitgeber eigenhändig unterschrieben und dem Arbeitnehmer ausgehändigt werden. Ein Nachweis in elektronischer Form ist ausgeschlossen.

In die Niederschrift sind mindestens aufzunehmen:

  1. der Name und die Anschrift der Vertragsparteien,
  2. der Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses,
  3. bei befristeten Arbeitsverhältnissen: das Enddatum oder die vorhersehbare Dauer des Arbeitsverhältnisses,
  4. der Arbeitsort oder, falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort tätig sein soll, ein Hinweis darauf, daß der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden oder seinen Arbeitsort frei wählen kann,
  5. eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit,
  6. sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit,
  7. die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind, und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung,
  8. die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen,
  9. bei Arbeit auf Abruf nach § 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes:
  10. die Vereinbarung, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat,
  11. die Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden,
  12. der Zeitrahmen, bestimmt durch Referenztage und Referenzstunden, der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt ist, und
  13. die Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat,
  14. sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen,
  15. die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs,
  16. ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung,
  17. wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist,
  18. das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden,
  19. ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sowie Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen.

Diese Aufzählung entspricht dem Stand des Gesetzes am 01.08.2022.

Neu ist, dass die Angaben nach zu Nummer 1, 7 und 8 schon am ersten Tag der Arbeitsleistung auszuhändigen sind. Dabei handelt es sich um die Namen und Anschriften der Vertragsparteien, die Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts sowie die vereinbarte Arbeitszeit.

Weitere Angaben, wie Nummer 2 bis 6, 9 und 10 sind spätestens am sieben Kalendertag nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuhändigen. Die übrigen Angaben nach Satz 2 sind spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuhändigen.

§ 2 Abs. 4 NachwG sieht vor, dass die Angaben teilweise durch einen Hinweis auf Tarifverträge bzw. Betriebs- oder Dienstvereinbarungen ersetzt werden können.

Wenn zwischen den Parteien ein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde, entfällt die Verpflichtung zum Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen, soweit der Arbeitsvertrag diese Angaben enthält. Vor diesem Hintergrund besteht für Arbeitgeber die Verpflichtung, ihre Arbeitsvertragsmuster an die neue Gesetzeslage anzupassen.

Eine Anpassung der Arbeitsvertragsmuster ist auch deshalb notwendig, um einem drohenden Bußgeld aus dem Weg zu gehen. Ab dem 01.08.2022 sind in § 4 NachwG neue Bußgeldvorschriften normiert, sofern der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen aus dem Nachweisgesetz nicht nachkommt. Verstöße gegen das Nachweisgesetz können mit einer Geldbuße bis zu 2.000 Euro geahndet werden.

Die verschärften Regelungen des Nachweisgesetzes gelten für alle Neueinstellungen ab dem 01.08.2022. Eine Übergangsvorschrift in § 5 NachwG sieht für vor dem 01.08.2022 abgeschlossene Arbeitsverträge vor, dass Arbeitnehmern auf Verlangen spätestens am siebten Tag nach Zustand der Aufforderung beim Arbeitgeber eine Niederschrift mit Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nummer 1 bis 10 auszuhändigen ist. Die weiteren Angaben sind dem Arbeitnehmer spätestens einen Monat nach Zugang der Aufforderung auszuhändigen.

Selbstverständlich brauchen nur Punkte aufgelistet werden, von denen das Arbeitsverhältnis auch tatsächlich betroffen ist. Es ist z. B. nicht notwendig, Angaben zum Schichtbetrieb vorzunehmen, wenn keine Schichtarbeit vereinbart wurde.

Praxistipp: Arbeitgeber sind gut beraten, sich auf die neue Rechtslage einzustellen und eine den Anforderungen des Nachweisgesetzes entsprechende Aufstellung der wesentlichen Arbeitsbedingungen vorzuhalten. Ferner sind Arbeitsvertragsmuster an die neue Rechtslage anzupassen. Das dürfte insbesondere gelten für die Ergänzung für das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren. Eine derartige Regelung dürfte bislang in den wenigsten Vertragsmustern enthalten sein.